Unter dem Kampagnennamen iur.reform hat das Bündnis zur Reform der juristischen
Ausbildung e.V. die größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung in der Ge-
schichte der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Die Studie basiert auf den Ergeb-
nissen einer Abstimmung über 43 Thesen, die vom 17.01.2022 bis zum 17.07.2022 durch-
geführt wurde und an der 11.842 Personen teilgenommen haben.
Die juristische Ausbildung gilt historisch als besonders schwer zu reformieren. Strukturell
sind viele Akteur:innen an der Änderung der juristischen Ausbildung beteiligt und von ei-
ner solchen Änderung betroffen. Die einzelnen Akteur:innengruppen diskutieren aber vor
allem untereinander, anstatt miteinander. Die letzte große Reform, die letztlich zurück-
genommen wurde, basierte auf einem gemeinsamen mehrjährigen Prozess aller beteiligten
Gruppen in Rahmen von Treffen in der Accademie Loccum. Mit der Kampagne iur.reform
und der damit einhergehenden Abstimmung über 43 ermittelte Reformoptionen mit Blick
auf die juristische Ausbildung, bündeln wir den zersplitterten Reformdiskurs.
Die 43 Thesen, die zur Abstimmung gestellt wurden, entstammen der Auswertung aus
über 200 Beiträgen in Fachzeitschriften und Artikeln aus den Jahren 2000 – 2020. Die
Thesen wurden ausgewählt, weil sie regelmäßig diskutiert wurden. Die Abstimmung
wurde in einem Stakeholderprozess unter Beteiligung von BRF, DAV, BRAK, DRB und elsa
verbessert.
Jede:r der:die einen Bezug zur juristischen Ausbildung hat war eingeladen die 43 Thesen
auf einer Skala von 1 (volle Ablehnung) bis 5 (volle Zustimmung) zu beantworten. Alle
Stimmen von Studierenden und Praktiker:innen jeder Art bis hin zu Verfassungsrich-
ter:innen waren und sind relevant für eine gemeinsame Debatte über die gewünschten
und befürworteten Reformen.
Von den 11.842 Personen waren u.a. 5033 Studierende, 1653 Personen im Referendariat,
2089 Personen identifizierten sich als Rechtsanwält:innen, 937 als Richter:innen, 209 als
Staatsanwält:innen, 245 als Professor:innen und 70 Personen als Mitarbeiter:innen in
Justizprüfungsämtern (JPA), sowie 399 als Personen, die mit juristischer Ausbildung in der
Verwaltung arbeiteten. Bei der Bewertung der Zahlen ist zu beachten, dass damit 4 % der
Gesamtheit der Studierenden im Fach Rechtswissenschaften, knapp 1,48 % der Rechtsan-
wält:innen, 4 % der Richter:innen und 18 % aller Jura Professor:innen befragt wurden.
In der Auswertung der Abstimmung berücksichtigen wir die Vielfalt der Stimmen. Wir
zeigen auf, wo sich die Gruppen in ihrer Perspektive auf die verschiedenen Reformoptio-
nen unterscheiden – und wo sie sich einig sind.
Wir schlagen eine Zweipfadigkeit vor, die auf Grundlage unserer Ergebnisse beschritten
werden kann. Einerseits lässt sich aus den Ergebnissen über alle befragten Gruppen hin-
weg ein Sofortprogramm ableiten. Die Thesen, die von allen Seiten mit absoluter Mehrheit
befürwortet werden und eine unmittelbare positive Veränderung der juristischen Ausbil-
dung an einzelnen Stellen zulassen sind besonders geeignet für eine unmittelbare Umset-
zung nach unserem Sofortprogramm. Andererseits laden wir dazu ein, auf Grundlage der
vorliegenden Ergebnisse zu Stimmungsbildern der einzelnen Aktuer:innen ergebnissof-
fen in einem Stakeholderprozess, angelehnt an die Accademie Loccum, eine gemeinsame
Vision von einer neuen juristischen Ausbildung zu entwerfen.
Für das Sofortprogramm haben wir aus den Thesen, die von allen drei großen Gruppen (in
Ausbildung [Studierende, Referendar:innen, Promovierende, u.a.], Praktiker:innen [Rechts-
anwält:innen und Syndizi, Richter:innen, Staatsanwält:innen, u.a.], Ausbildende [Profes-
sor:innen, Lehrende, JPA-Mitarbeiter:innen]) mit absoluter Mehrheit befürwortet werden,
ein Sofortprogramm entwickelt, wenn die Thesen zusätzlich zeitnah umsetzbar sind.
Keine Einigkeit unter den drei Gruppen bedeutet aber nicht, dass es keinen Reformbedarf
gibt. Bei vielen Thesen stimmen einzelne Gruppen in absoluter Mehrheit zu, aber eben
nicht alle. Bei vielen weiteren Thesen findet sich eine relative Mehrheit für eine Reform.
Dies bedeutet es gibt endlich eine Grundlage für gemeinsame und spannende Diskussionen.
Zum Beispiel: Insgesamt mehrheitlich sprechen sich die Abstimmenden für die Einfüh-
rung eines integrierten Bachelors aus (55 %), aber diese These wird von Professor:innen
und JPA-Mitarbeitenden nicht mehrheitlich unterstützt, aber auch nicht mehrheitlich
abgelehnt wird. Ähnlich ist es bei der Forderung die Möglichkeit des Abschichtens bun-
desweit einzuführen. Knapp 70 % sprechen sich dafür aus, aber nicht in allen drei großen
Gruppen gibt es mehrheitliche Zustimmung. Die Verwendung von Online-Datenbanken
in Klausuren wird z.B. von einer Mehrheit der Personen in Ausbildung unterstützt (55 %),
aber sowohl von Praktiker:innen als auch von Ausbildenden mehrheitlich abgelehnt. Die
Verwendung von Handkommentaren wird von Personen in Ausbildung und von Prakti-
ker:innen mehrheitlich unterstützt.
Interessant war u.a. auch: Die Umstellung auf Bologna wird von einer absoluten Mehr-
heit abgelehnt, wenn auch 39 % der Studierenden sich dafür aussprechen. Die einstufige
Juristische Ausbildung erhält von denjenigen, die sie selbst durchlaufen haben, Bestnoten
(52 % stimmten vollständig („5“) einer Wiedereinführung zu). Insgesamt ist die juristi-
sche Welt zu je 40 % für und gegen die Einführung und 20 % sind unentschieden. Die Um-
stellung auf eine Laufbahnorientierte Ausbildung wird nicht mehrheitlich befürwortet.
Außerdem sollte das Studium emotional entlastet werden. Eine Mehrheit spricht sich
dafür aus, dass neuer Prüfungsstoff nur aufgenommen wird, wenn alter Prüfungsstoff ge-
strichen wird, tendenziell einig sind sich auch die Gruppen in ihrer Ablehnung von mehr
Prozessrecht im ersten Examen. Eine Mehrheit fordert die diverse Zusammenstellung
von Prüfungskommissionen und dass Leistungen aus dem Studium in die Examensnote
aufgenommen werden sollten. Abgelehnt wird: Abschaffung des Freischusses (wo er noch
besteht), Ausweitung der Anzahl an Klausuren im ersten Staatsexamen und die Einfüh-
rung einer Examenshausarbeit.
Doch bereits die Antworten auf die erste Frage zeigen, weshalb die Arbeit mit den Ergeb-
nissen jetzt so wichtig ist: Mehrheitlich sind die Abstimmenden insgesamt unzufrieden
mit der juristischen Ausbildung in ihrer jetzigen Form (52 %).
Dies ist erst der Beginn einer gemeinsamen Diskussion über die Zukunft der juristischen
Ausbildung, die nun auf einer soliden Datengrundlage geführt werden kann.